Was bedeutet AuDHS?
AuDHS steht für das gleichzeitige Vorliegen einer Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS).
Es handelt sich nicht einfach um eine „Mischform“, sondern um eine eigenständige
neurodivergente Konstellation mit besonderen Wechselwirkungen. Während ADHS durch
Reizoffenheit, Impulsivität und ein hohes Maß an Spontanität gekennzeichnet ist, geht ASS oft
mit starker Reizempfindlichkeit, dem Bedürfnis nach Struktur sowie detailorientierter,
nicht-intuitiver sozialer Verarbeitung einher. Das gleichzeitige Vorhandensein beider
Konstellationen führt zu inneren Spannungen, die im Alltag schwer vermittelbar, aber konstant
spürbar sind.
Warum Symptome häufig nicht erkannt werden?
Viele Betroffene sind intelligent, leistungsfähig, kreativ und sozial angepasst – was häufig über
die neurodivergente Wahrnehmungsverarbeitung hinwegtäuscht. Besonders in Familien mit
eigenen unentdeckten ADHS- oder ASS-Anteilen werden Abweichungen vom neurotypischen
Denken und Verhalten oft als „normal“ wahrgenommen und nicht als Symptome erkannt. Zudem
überschneiden sich ADHS und ASS in einigen Bereichen, während sie in anderen völlig
gegensätzlich wirken – was die Erkennung zusätzlich erschwert.
Typische Merkmalskonstellationen bei AuDHS
1. Reizverarbeitung:
- Starke Reizoffenheit bei gleichzeitiger Reizempfindlichkeit (visuell, auditiv, olfaktorisch, sozial).
- Neigung zur Reizüberflutung (besonders in sozialen Kontexten, bei Lärm, visueller Unordnung
etc.).
- Phasen intensiver Reizsuche (Hyperaktivität, Informationsflut, starker Bewegungsdrang)
wechseln sich mit totalem Rückzug ab.

2. Kognitive Muster:
- Netzwerkartiges, assoziatives Denken mit hohem Reflexionsgrad.
- Hyperfokus auf Themen mit starkem Interesse, gepaart mit massiver Blockade bei
Routineaufgaben oder extern gesetzten Prioritäten.
- Bedarf an klarer, präziser Sprache und Logik, kombiniert mit Schwierigkeiten beim Verarbeiten
impliziter sozialer Regeln.

3. Emotionsregulation:
- Starke emotionale Reaktionen mit verzögertem oder überschießendem Ausdruck.
- Neigung zu Shutdowns (kompletter Rückzug, Sprachlosigkeit) oder Meltdowns (Wutausbrüche,
Überreaktionen) bei Überforderung.
- Schwierigkeiten in der emotionalen Differenzierung (eigene vs. fremde Emotionen) und beim
Wiederherstellen innerer Balance.

4. Soziale Interaktion:
- Hochfunktionales Verhalten in sozialen Kontexten, das aber meist kognitiv gesteuert ist, nicht
intuitiv.
- Schwierigkeiten mit Smalltalk, Ironie, unausgesprochenen Erwartungen oder dynamischen
Gruppensituationen.
- Gleichzeitiges Bedürfnis nach tiefer Verbindung und starkem Schutzbedürfnis vor sozialer
Überforderung.

5. Struktur und Alltag:
- Ambivalenz zwischen Kontrollbedürfnis (ASS) und Reizsuche (ADHS).
- Hohe Belastung durch Alltagstätigkeiten mit geringer kognitiver Stimulation.
- Tendenz zu entweder extremer Ordnung oder kompletter Desorganisation – oft im Wechsel.
Widersprüchliche Außenwirkung
Aufgrund der Komplexität der Symptome und Coping-Strategien erscheint das Verhalten für
Außenstehende oft widersprüchlich:

Beobachtung vs. Realität:
• Rückzug, Schweigen, Desinteresse ---- Reizüberflutung, kein Zugang zu Sprache
• Wutausbruch, Reizbarkeit --- emotionale Überforderung ohne Regulierungspuffer
• Sprunghaftigkeit, Themenwechsel --- assoziatives Denken, Reizverlagerung
• Detailfixierung, Korrekturen --- Ordnungsbedürfnis, Suche nach Kohärenz
• Starrheit oder Ablehnung --- Schutzreaktion gegen Kontrollverlust
Kompensation und Langzeitfolgen
Betroffene mit AuDHS entwickeln häufig hochfunktionale Bewältigungsstrategien:
- Perfektionismus, Überanpassung, Masking in sozialen Kontexten.
- Hoher Energieaufwand zur Kompensation alltäglicher Anforderungen.
- Chronische Erschöpfung, Überreizung, Rückzugsverhalten oder Burnout.
- Schwierigkeiten in Beruf und Beziehungen trotz überdurchschnittlicher Kompetenzen.

Diese Strategien funktionieren kurzfristig, führen langfristig aber häufig zu psychischer und
physischer Überlastung.
Schlussbemerkung
AuDHS ist kein Defizit, sondern eine tiefgreifende Abweichung in der Art, wie Reize verarbeitet,
Weltzusammenhänge hergestellt und soziale Dynamiken interpretiert werden.

Die damit verbundenen Herausforderungen entstehen häufig weniger durch die Neurodivergenz selbst als durch Missverständnisse, inadäquate Anforderungen und chronische Überanpassung an ein neurotypisches Umfeld. Ein besseres Verständnis dieser inneren Logik ermöglicht nicht nur
mehr Rücksichtnahme, sondern auch ein authentischeres Leben.